Hoffe und warte!

… aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Jesaja 40,31

Hoffe und warte!

Wie ein Leitmotiv zieht sich das „Harren auf den Herrn“ durch die Bibel – besonders eindrücklich im Buch des Propheten Jesaja.

Von Wladimir Pikman

Denen, die auf Gott harren, gilt nach Jesaja 40,31 eine beeindruckende Zusage. Das hebräische Verb „qāwāh”, das Luther mit „harren“ übersetzt, bedeutet „hoffen auf“ oder „warten auf“. Die Septuaginta, die alte griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, übersetzt das Verb bedeutungsgleich mit „hypomeno“, das auch im Neuen Testament verwendet wird. Die Verheißung hat dabei mehrere Dimensionen: eine historische, eine eschatologische und eine persönliche für jeden, der glaubt.

Historisch: Das Volk Israel wird erlöst

Kontextual gesehen ist Jesaja 40,31 in erster Linie eine Zusicherung der verheißenen Wiederherstellung Israels aus der babylonischen Gefangenschaft, mit klaren Parallelen zur Erlösung des Volkes aus Ägypten. Damals hatte Gott die Israeliten „auf Adlerflügeln“ getragen und „zu mir gebracht“ (Ex 19,4). Der Prophet verkündet dem Volk, dass seine Leidenszeit zu Ende geht und „ihre Schuld vergeben ist“ (Jes 40,2). Gott will sein Volk besuchen und nichts steht ihm im Wege. Er wird sich sogar allen Menschen offenbaren (V. 3-5). Gott kommt als Herrscher und Hirte.

Um die Zuversicht zu stärken, wird der Gott Israels als der Allmächtige und Unvergleichbare dargestellt. Er ist der Schöpfer aller Dinge (V. 12). Er thront im Himmel über allem und über allen. Selbst wenn es den Gefangenen im Leid erscheinen mochte, als ob Gott sie vergessen oder er nicht genug Kraft hätte, sie zu befreien (V. 27), ist doch das Gegenteil der Fall. Gott wird niemals müde (V. 28). Er vergisst niemanden, sondern agiert nach seinem Plan, der für Menschen oft unbegreiflich ist. Er will helfen und stärken. Dafür soll man auf seine Hilfe hoffnungsvoll warten (V. 31).

Endzeitlich: Verheißungen erfüllen sich ganz

Es gibt eine weitere Dimension: Terminologie und Thema des „Harrens auf den Herrn“ besonders in Bezug auf die endzeitliche Erlösung des Volkes sind typisch für Jesaja. Wir lesen in Kapitel 25,9: „Zu der Zeit wird man sagen: ‚Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.“ Der Vers spricht von der endzeitlichen Erlösung (vgl. V. 8: „Er wird den Tod verschlingen auf ewig …“) und beschreibt das hoffnungsvolle Warten auf die universale Errettung durch Gott.

Auch die alte rabbinische Auslegung bezieht die Zusicherung von Jesaja 40,31 auf die endzeitliche Erlösung Israels und der Welt. In anderen jüdischen Quellen aus der Zeit des Zweiten Tempels finden wir Aussagen, die dem Vers terminologisch ähneln, und die ebenso im Kontext mit der endzeitlichen Erlösung und Befreiung Israels stehen.

Damals deuteten einige jüdische Glaubensströmungen viele Erlösungserwartungen aus dem Alten Testament auf den Messias hin, durch den Gott in der Endzeit eingreifen würde. Jesaja 40 ist hier keine Ausnahme: Deswegen wurde das Kapitel von den ersten Jüngern Jesu auch als Hinweis auf den Messias verstanden, der in Jesus seine Erfüllung fand – die Worte des Rufers in der Wüste, „bereitet dem HERRN den Weg“ (Jes 40,3-5), werden in Matthäus, Markus und Lukas zitiert und das Motiv des Hirten aus Jesaja 40,11 greift Jesus in Johannes 10,11-16 auf. Vieles davon soll erst mit der Wiederkunft Jesu vollständig erfüllt werden. Ähnlich verhält es sich mit Jesaja 40,31: Erst wenn Jesus wiederkommt, werden wir die Verheißung in ihrer vollen Kraft erleben. Dass das vertrauensvolle Warten der Frommen auf Gott, besonders in Zeiten der Trübsal, am Ende Lohn und Erlösung zur Folge hat, betont auch das Neue Testament: „Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig werden“ (Mt 10,22 und 24,13; vgl. 2 Tim 2,12).

Besonders Psalm 37 ist in dieser Hinsicht interessant. Hier werden die, die „des HERRN harren“ (V. 9.34), als solche beschrieben, die Gutes tun und ihre Lust am Herrn haben. Sie stehen im Gegensatz zu den Bösen und Ungerechten. Sie mögen im Moment erniedrigt und im Elend leben, aber ihr hoffnungsvolles Warten auf den Herrn soll ihnen das Land, Frieden und Freude geben. Ähnliche Verheißungen in alttestamentlichen Prophetien weisen ebenfalls auf die endzeitliche Erlösung hin und wurden später in Bezug auf das Kommen des Messias ausgelegt. Jesus selbst bezog sich in seiner Bergpredigt darauf (vgl. Mt 5,3-12).

Persönlich: Jeder ist dazu aufgerufen

Neben der endzeitlichen Nuance versteht es Jesaja grundsätzlich als eine Tugend, auf den Herrn zu „warten …, auch auf dem Wege deiner Gerichte“ (Kap. 26,8) und in der Zeit der Trübsal. Dies gilt auch für Nachfolger Jesu, sie sollen „beharrlich im Gebet“ sein (Röm 12,12), in der Liebe alles dulden (vgl. 1 Kor 13,7; 2 Tim 2,10; auch hier griech. „hypomeno“). Die Bibel ruft den Frommen auf, „harre des HERRN!“ (Ps 27,14; Spr 20,22), und dazu, keine eigenen Wege ohne Gott zu suchen.

Es ist auch ein wichtiger Bestandteil der Petition an Gott, seine Hilfe zu erleben (vgl. Jes 33,2). Das vertrauensvolle Warten auf den Herrn lohnt sich auch heute, weil Gott uns liebt und allmächtig ist, um uns zu helfen: „Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret …“ (Ps 25,3-5.21). Und auch David „harrte des HERRN, und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien“ (Ps 40,2; vgl. Ps 130,5). „Der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt“ (Klgl 3,25-26). Diese Idee, dass „du allen aufhilfst, die auf dich warten“ (Sir 51,8; vgl. Jak 5,11), war in apostolischen Zeiten in der jüdischen Weltanschauung deutlich präsent.

Es wird die Zeit kommen, da alle Völker auf den Gott Israels harren werden (vgl. Jes. 51,5; 60,9). Wie könnte es auch anders sein? Da Gott der Einzige ist, „der HERR, unser Gott, auf den wir hoffen“ können (Jer 14,22).

Gott handelt zu seiner Zeit

Die Beschwerden der Menschen, wie sie sich in Jesaja 40 äußern – der Mensch ist schwach und vergänglich (V. 6-7) und der Gedanke, Gott sei unwissend und kümmere sich nicht (V. 27) – deuten auf mangelnden Glauben, verdrehte Theologie und eigene Erlösungsvorstellungen hin. Aber Gott ist ewig, allmächtig, allgegenwärtig und allwissend. Er sorgt sich um die Menschen. Er offenbart Israel seine großen Erlösungspläne. Das Volk scheint nur nicht bereit, an die Botschaft zu glauben. Ihre Skepsis ist leicht nachvollziehbar: Sie leiden noch immer, sind noch immer in Gefangenschaft. Sie sind machtlos und menschlich gesehen ohne Hoffnung. Es mangelt an Vertrauen und Geduld. Gott wird unterschätzt und nach momentaner Erfahrung beurteilt. Kommt Ihnen das vertraut vor? Ähnelt es nicht dem, was wir manchmal erleben? Die Größe und die Liebe Gottes erfordern aber unser „Warten und Hoffen auf …“. Seine guten Pläne werden Realität, aber auf seine Art und zu seiner Zeit. Wer lernen kann, auf Gottes Zeit und Heilsplan zu hoffen und zu warten, wird selig und wiederhergestellt – möglicherweise sogar mehrmals in diesem Leben und sicher in der kommenden Welt.

Bibelstellen nach: Luther (2017)

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